Design for Sales – geht das?

mit kundenorientierter Produktentwicklung zum Verkaufsschlager

veröffentlicht in der „Economic Engineering“ 1/2013, S. 62/63

Produktentwicklung kann unter den unterschiedlichsten Aspekten angegangen werden: Design for Manufacturing, Design for Assembly, Design for Usability oder zurzeit besonders beliebt: Design for the Environment. Aber was ist „Design for Sales“? Wie soll das gehen und wenn es geht, warum machen wir es nicht längst?

Google gibt auf diese Frage keine schlaue Antwort und somit bleibt nur der Weg über eine eigene Herleitung und Evaluation, die ich hier versuchen möchte.

Wann kaufen  wir neue Technologieprodukte?

Wann ist man bereit in ein neues Technologieprodukt zu investieren? Welche Erwartungshaltung steckt dahinter? Diese Frage führt zu der Überlegung, was sich Unternehmen und Menschen von der Verwendung eines neuen Technologieproduktes versprechen und was sie dabei fürchten.

Meist ist es ein Problem das gelöst, eine Unzulänglichkeit die umgangen werden soll. In jedem Fall ist es der Wunsch nach einer deutlichen Verbesserung gegenüber etablierten Vorgehensweisen und Arbeitsprozessen.

Ein Technologieprodukt, welches das Label „Design for Sales“ verdient, muss hier ansetzen und muss eine spürbare, messbare Verbesserung bieten. Am Markt setzt sich langfristig nur ein Produkt durch, dessen Zweckmäßigkeit eindeutig besser ist als seine Vorgänger. Gleichzeitig müssen Qualität, Leistungsumfang und Service  ein gutes Mas erreicht haben.

Wenige Innovationen schaffen jedoch auf Anhieb den Sprung mitten hinein in den hier beschriebenen Mainstreammarkt, der mit satten Profiten winkt. Neuentwicklungen müssten sofort bei Markteintritt ausgereift und allumfassend sein und auf Anhieb eine breite Masse überzeugen. Dies ist ein teurer und risikoreicher Weg den nur wenige Firmen finanzieren können und wollen.

Der Mensch als Ausgangspunkt der Produktentwicklung

Stellt man den Menschen in den Mittelpunkt der Produktentwicklung zeichnet sich eine eindeutige Vorgehensweise ab. Technologieprodukte haben einen Lebenszyklus (Abb.1), das hat Everett Rogers („Diffussion of Innovations) in den 60er Jahren herausgefunden. Firmen, Produkte und Vermarktungsmethoden müssen sich im Lauf dieses Lebenszyklus verändern, um auf einer Erfolgswelle zu bleiben, denn der Grund warum Kunden das Produkt kaufen, also die Kaufmotivation,  ändert sich  im Verlauf des Lebenszyklus.

Ein Produkt, welches für den guten Verkauf entwickelt wird muss sich also während seines Lebenszyklus immer wieder den Bedürfnissen des aktuellen Käufersegments anpassen. Um dies Umzusetzen benötigt man detailliertes Kundenverständnis. Dieses tiefgreifende Kundenverständnis ist immer wieder aufs Neue der Ausgangspunkt um ein Produkt genau dort weiterzuentwickeln, wo für das kommende  Käufersegment die Kaufmotivation liegt.

Die bisherige Argumentation ist vermutlich nachvollziehbar aber auch theoretisch. Wann genau soll sich ein erfolgreiches Produkt wohin entwickeln? Wann sollte welcher Aspekt beachtet werden?

Die folgenden Paragraphen sollen ein besseres Verständnis geben.

Der Produktlebenszyklus und seine Käufer

Die Spielversion – Beta

In der allerersten Produktgeneration, der Betaversion sozusagen, die am Markt meist nicht offiziell zu finden ist, geht es um das Spielen mit den Möglichkeiten zwischen Technologie und Zweckmäßigkeit zur  Verbesserung einer unbefriedigenden Situation. Diese Spielversion geht an die „Nerds“, also die Technologiefreaks der Branche, damit diese sich bei der Vollendung des Produkts hin zur ersten marktreifen Produktversion einbringen können. Neben wertvollen und meist kostenlosen Hinweisen zur Weiterentwicklung des Produktes bindet dieser Schritt diese wichtigen Meinungsmacher der Branche an das neue Produkt. Immerhin waren sie an der Entwicklung beteiligt. Dieser wertvolle Ansatz des outside-in bei der Produktentwicklung wurde in den Methoden der Open Innovation erfolgreich weiterentwickelt, darauf soll aber hier nicht weiter eingegangen werden.

Das „Design for Sales“-Produkt bietet in dieser Beta-Version seine Kernfunktion ohne Komfort und ohne umfassende Einbindung in die späteren Einsatzwelten. Es erlaubt einer kleinen Gruppe von Spezialisten außerhalb des Unternehmens zur anwendernahen Weiterentwicklung beizutragen und es bindet diese emotional an das Produkt.  Ein Startpunkt in einem kleinen Markt und meist ohne Profit.

Die Pure-Funktion-Version

Die nun folgende Markteinführungsversion des neuen Technologieproduktes muss genau einen Zweck verfolgen: einen bislang ungedeckten Kundenbedarf abdecken, am besten einen, der Zeit oder Kosten einspart oder der die Qualität oder das Leistungsspektrum bemerkenswert erhöht. Dieses Zweckversprechen lockt eine Gruppe von Menschen unter den potentiellen Kunden, welche sich durch Neugierde, Weitsicht, Überzeugungskraft, Selbstdarstellung, Mut oder einer beliebigen Mischung dieser Faktoren aus der Masse abheben möchten. Geoffrey Moore (Chrossing the Chasm) nennt diese Menschen Visionäre. Sie versuchen eine Managementherausforderung durchschlagend und mit viel persönlichem Engagement zu lösen. Das Produkt darf zu diesem Zeitpunkt unvollständig sein, muss aber seine höhere Zweckfunktionalität im Kernbereich unbestreitbar aufweisen (siehe Abb.2). Das Produkt und die Verkaufsmethoden ähneln hierbei dem Projektgeschäft. Im Verlauf dieses Kaufprozesses werden Produktanpassungen vom Projektkunden benötigt und Produktentwicklung, Vertrieb und Kunde sind in engem Kontakt. Hierbei muss der Aufwand für Anpassungen genau beobachtet werden. Sinnvoll ist, sich in dieser Phase der Produktentwicklung auf den Bedarf von ein, zwei Nischenmärkten zu konzentrieren. Bringen kundenspezifische Entwicklungen Vorteile im anvisierten, breiteren Markt? Wird das Produkt durch diese Anpassungen kundenfreundlicher oder wird es exotischer? Können Lernerfahrungen wiederverwertet werden? Das Projektgeschäft während der „Pure-Funktion-Version“ soll die Weiterentwicklung zur echten Marktreife in einem Massenmarkt finanzieren.

Die User-Experience Version

Jetzt  ist endgültig Schluss mit dem Technologiefokus in der Entwicklungsabteilung. Die Kerntechnologie ist entwickelt und bietet bessere Leistung zu niederen Preisen und zudem mehr Zuverlässigkeit. Technologiefreaks und Visionäre wollten eine neue, andere Funktionalität und waren bereit Unannehmlichkeiten und hohe Kosten in Kauf zu nehmen. Nun treten neue Kunden in den Markt ein: pragmatisch denkende Kunden. Diese suchen Effizienz, Kostensenkung, Zuverlässigkeit und zunehmend auch Einfachheit. Die funktionale Zweckbestimmung muss nun eingebettet werden in eine erweiterte, kontextbestimmte Funktionalität. Das Kernbedürfnis, für welches das Produkt entwickelt wurde ist abgedeckt, jetzt werden die Nebenschauplätze wichtig. Der Pragmatiker sucht Produkte, die sein Leben vereinfachen, er sucht keine Technologie, die in einem Bereich Vorteile bringt aber alles andere verkompliziert. Aus diesem Grund wartet der Pragmatiker mit dem Kauf, bis das neue Produkt „sicher“ für ihn ist, d.h. bis der wirtschaftliche Gesamtnutzen außer Frage steht. Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass es um ein vielfaches mehr pragmatisch denkende Kunden gibt als Visionäre. Abb. 1 zeichnet ein vereinfachtes Bild dieser Marktsituation. Die Mehrheit sitzt in der bauchigen Mitte der Kurve.

Die User-Experience Version mit Sicherheitsgurt

Mit zunehmend verbesserter Nutzungserfahrung kann das Produkt im Support und in der Unterstützung durch Drittanbieter und Serviceprovider ausgebaut werden. Das Produkt wird zur Commodity, zum Gebrauchsgegenstand, bei dem auch konservativ eingestellte Käuferschichten den wirtschaftlichen Nutzen nicht mehr ignorieren und zunehmend kaufen. So eröffnet sich dem jetzt ausgereiften Produkt die zweite Hälfte des Massenmarktes. Erfolgreich kann dies geschehen, wenn das Kernprodukt in einem Kontext von Support und Dienstleistung und zu einem attraktiven Preis angeboten wird.

Das Care Paket

Die großen Umsätze sind eingefahren und längst erobern neue Technologien den Markt. Dennoch halten manche Kunden treu am Produkt fest und einige wenige Skeptiker kaufen erst jetzt. Zu diesem Zeitpunkt lohnt sich ein flächendeckender Vertrieb und  Support nicht mehr, Drittanbieter rund um das Kernprodukt ziehen weiter. Jetzt lohnt es sich, ein allumfassendes „Care“ Paket zu schnüren. Die Kunden in dieser Produktlebensphase sind bereit für besonderen Service zu bezahlen. Die Margen verschieben sich und  Geld wird im Support und mit Ersatzteilen verdient. Wer diese Produktentwicklungsstufe nicht selbst anbieten möchte kann sie an Dienstleiter outsourcen.

Designed for Sales

Ein Produkt, das bei der Entwicklung den Kunden und nicht die Technologie ins Zentrum der Entscheidungen stellt, verdient bereits ein kleines „Designed for Sales“ Prädikat. So einfach dieser Entwicklungsfokus klingt, wenn neuste Technologien und ihre spannenden Möglichkeiten die Entwicklungsingenieure locken, fällt es schwer eine kundenorientierte Entwicklung durchzuhalten.

Wird darüber hinaus das Produkt im Produktlebenszyklus entlang der Kaufmotivation von „purer Kernfunktionalität“ über ein „kontextabhängiges Gesamtfunktionserlebnis“ hin zum allumfassenden „Care Paket“  immer weiterentwickelt, kann das Marktpotential im Ganzen ausgeschöpft werden. Grundvoraussetzung hierfür ist, dass tiefgreifendes Kundenverständnis vorhanden ist. Es muss verstanden werden in welchem Kontext das Produkt verwendet wird und worauf es dem Kunden bei der Nutzung wirklich ankommt. Neben der wirtschaftlichen Betrachtung darf dabei der Mensch mit seinen persönlichen Bedürfnissen nicht vergessen werden. Erst in der Gesamtbetrachtung wird aus „Kunden Insight“ und Technologie ein Produkt, dass sich „Designed for Sales“ nennen darf.

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